Wie bereits zuvor erwähnt ist die MPFL-Rekonstruktion keine Notfallindikation. Einzelne Autoren postulieren, die operative Versorgung frühestens ab dem zweiten oder dritten Luxationsereignis vorzunehmen. Insbesondere bei geplanten Kombinationseingriffen mit knöchernen Korrekturen von prädisponierenden Faktoren, sollte eine ausreichende Abschwellung, ein verbesserter Bewegungsumfang als unmittelbar posttraumatisch, sowie die volle Belastbarkeit vor einer Operation erreicht werden.
Für einen konservativen Therapieversuch kommen Patienten nach traumatischer Patellaluxation ohne prädispositionierende Begleitpathologie sowie Patienten nach dem Erstereignis einer Patellaluxation mit nur milder Trochleadysplasie in Frage. Das in der Literatur angegebene Reluxationsrisiko variiert jedoch stark und liegt zwischen 15-44%. Dieses hängt stark von der Risslokalisation des MPFL ab. Neueste Ergebnisse zeigen, dass ein konservativer Behandlungsversuch bei patellären Ausrissen zu guten Ergebnissen führen kann. Als Grundvoraussetzung für ein konservatives Vorgehen ist hier immer der Ausschluss von osteochondralen Verletzungen. Als Verfahren stehen die primäre Naht, die Refixation des frisch rupturierten MPFL mit bioresorbierbaren Fadenankern, die anatomische Rekonstruktion des MPFL mit autologem Gracilistransplantat zur Auswahl oder die “Umkehrplastik“ mit der Sehne des M. adductor magnus.
Die Herausforderung bei der Indikationsstellung, für ein operatives Vorgehen besteht darin, eine ausreichende Stabilisierung der Patella zu erreichen, ohne eine Druckerhöhung auf die femoropatellare Gelenkfläche zu provozieren. Zur Auswahl des optimalen Operationsverfahrens bei Patienten mit stattgehabter Patellaluxation müssen die zugrunde liegenden Begleitpathologien korrekt erkannt und eingeordnet werden. Folgende Risikofaktoren müssen hierbei bedacht werden:
- Auslösendes Ereignis (Bagatelltrauma, chronische habituelle Patellaluxation ohne adäquates Trauma)
- Alter bei Erstluxation < 14 J
- Instabilität oder Luxation auf der Gegenseite
- Mehrfache Luxationsereignisse
- Positive Familienanamnese
Liegt kein adäquates traumatisches Ereignis vor und treffen mehrere der o.g. Punkte zu, ist von einer höhergradigen, statisch bedingten Instabilität mit ossärer Pathomorphologie auszugehen. Das Reluxationsrisiko ist in diesen Fällen sehr hoch. Hier ist die operative Stabilisierung in Kombination mit einer Korrektur der bestehenden Begleitpathologie indiziert.
Auf dem Weg zur Verfahrensauswahl für den jeweiligen Patienten werden Zusatzinformationen durch die klinische Untersuchung sowie die radiologische Diagnostik benötigt:
Hinweise für das Vorhandensein von ossären Risikofaktoren bei der klinischen Untersuchung sind eine bei der Inspektion im Stehen auffallende Valgusstellung, ein positives Apprehension-Sign bei Knieflexion über 30° hinaus sowie ein positives J-Sign bei über 30° Knieflexion. Insbesondere das reversed J-Sign spricht für das Vorliegen einer ausgeprägten ossären Pathologie. Dieses Phänomen beschreibt das Eingleiten der zuvor lateralisierten Patella in die Trochlea beim Übergang von Extension in Flexion, was durch eine angewöhnte Trickbewegung erreicht wird. Ebenso ist ein erhöhter Patella-Shift und -Tilt ein Hinweis-Zeichen. Besteht bei einem Patienten eine ausgeprägte Patella alta, ist dies bei Knieflexion von 80° auch von außen klinisch erkennbar.
Treten diese Zeichen bei der klinischen Untersuchung auf, sollte keine alleinige MPFL-Plastik vorgenommen werden.
Ein weiteres diagnostisches Kriterium besteht in der Differenzierung zwischen Beschwerden, die durch eine patellofemorale Instabilität oder durch patellofemorale Schmerzen verursacht werden. Der vordere Knieschmerz tritt häufig bei Patienten mit schon länger bestehender Problematik auf, die ggf. schon voroperiert sind, und kann ein Hinweis auf eine Patellofemoralarthrose sein.
Die isolierte MPFL-Rekonstruktion kann in dieser Situation zu einer Verschlimmerung führen, da der Patellafirst ggf. in den arthrotisch veränderten Bereich der Trochlea gedrückt würde.